Interkulturelle
Alles eine Frage der Kultur?
Kürzlich machte ein bizarrer Fall aus Kanada Schlagzeilen, bei dem ein französischer Kellner in der Provinz British Columbia beim Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde einreichte, nachdem er von seinem Arbeitgeber, einem Restaurant in Vancouver, aufgrund seines „aggressiven, unhöflichen und respektlosen Verhaltens“ gefeuert worden war. Er begründete seine Beschwerde damit, dass die französische Kultur generell „direkter und ausdrucksstärker“ sei und die Entlassung folglich eine Diskriminierung seiner Kultur darstelle.
Sicherlich ein eher ungewöhnlicher Fall. Tatsache ist jedoch, wenn man das erste Mal mit Menschen aus einem anderen Kulturkreis zusammenarbeitet oder generell international tätig ist – sei es im Rahmen eines Auslandsaufenthalts, beim Jour fixe mit den europäischen Niederlassungen oder im Zuge von Vertragsverhandlungen in Asien – trifft man häufig auf Verhaltensweisen, die erst einmal überhaupt keinen Sinn zu ergeben scheinen. Man merkt vielleicht, dass die Kommunikation völlig anders abläuft, als man das von zu Hause gewohnt ist – und dass gute Sprachkenntnisse allein noch lange kein Garant für eine gelungene Kommunikation sind.
Gleich bedeutet nicht überall das Gleiche
Diese Unterschiede können sich ganz unterschiedlich zeigen: In Mexiko kann man beispielsweise erleben, dass die Uhren im wahrsten Sinne des Wortes anders gehen. Man wartet möglicherweise stundenlang auf eine Lieferung Büromaterial, weil der Lieferant angab, die Lieferung käme „ahorita“ (was direkt übersetzt „jetzt gleich“ oder „sofort“ bedeutet) – um dann festzustellen, dass man einen Mexikaner, der „ahorita“ sagt, niemals wörtlich nehmen sollte. Die Bedeutung variiert kulturell stark und „ahorita“ kann „in einer Stunde“, aber auch „morgen“ oder sogar noch später bedeuten.
Oder man fährt auf dem Weg zu einem Geschäftsessen in Bangkok endlos im Kreis herum, weil man jemanden nach dem Weg gefragt hat, der ihn selber nicht wusste, aber nicht vermeintlich unhöflich erscheinen wollte. Oder man muss, wie der französische Kellner, vielleicht erkennen, dass man mit seinem direkten und doch so „professionellen“ Verhalten, wie dem Beharren auf Zeitplänen oder dem Einfordern von Zusagen, oft genau das Gegenteil erreicht: Die Kollegen oder Geschäftspartner fühlen sich vor den Kopf gestoßen und verweigern schlichtweg die Zusammenarbeit.
Kommunikation ist mehr als Sprache
Diese Beispiele haben eines gemeinsam: Trotz ausreichender Sprachkenntnisse scheint es immer wieder zu Missverständnissen zu kommen. Es treten überraschende Hindernisse auf, die die Zusammenarbeit erschweren – und im schlimmsten Fall sogar zu einer Kündigung führen oder Vertragsverhandlungen scheitern lassen können.
Jetzt könnte man natürlich annehmen, dass die „Anderen“ unhöflich, unfähig oder unzuverlässig sind, oder einfach nicht wissen, wie man die Dinge richtig angeht. Tatsächlich lautet das Zauberwort „interkulturelle Kommunikation“. Länder unterscheiden sich nicht nur in ihrer Sprache, sondern auch in ihrer Kultur – und die manifestiert sich eben nicht nur in Traditionen, Denkmälern und Veranstaltungen, sondern auch in grundsätzlichen Werten, Konzepten, Annahmen und Überzeugungen. Diese beeinflussen tagtäglich mehr oder weniger unbewusst das Denken, Fühlen und Handeln sowie die Art und Weise, wie man miteinander kommuniziert und Gesagtes interpretiert. Im Austausch verfügt jeder Gesprächspartner über ein eigenes kulturelles Interpretationssystem, das während der Unterhaltung unbewusst mitläuft. Fehlt das Wissen über das Interpretationssystem des Gegenübers, kann es leicht zu Missverständnissen kommen.
Zu so einem Missverständnis kann es zum Beispiel schnell kommen, wenn man in Tibet unterwegs ist und der Geschäftspartner einem die Zunge rausstreckt. Da sich sofort das erlernte Interpretationssystem einschaltet, wird man sich erst einmal beleidigt fühlen. Anders als diese Geste in den meisten Ländern jedoch wahrgenommen wird, ist sie in Tibet ein Zeichen des Respekts und ein guter Anfang, um mit jemandem ins Geschäft zu kommen.
Kommunikation im Wandel
Glücklicherweise hat sich die Wahrnehmung in letzter Zeit stark verändert. Die interkulturelle Kommunikation hat durch die zunehmende Globalisierung immer mehr an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig ist gerade bei internationalen Unternehmen das Bewusstsein für kulturell bedingte Unterschiede in der Kommunikation gewachsen, sodass Mitarbeiter, die auf internationaler Ebene tätig sind, mittlerweile oft gezielt im Rahmen von Kursen und interkulturellen Trainings auf diese besonderen Herausforderungen vorbereitet werden.
Dieser Wandel zeigt sich auch im Übersetzungsgeschäft. Unternehmen wollen sicherstellen, dass ihre Botschaft auch in anderen Ländern richtig ankommt. Eine einfache Übersetzung ist dabei oftmals nicht ausreichend. Die Texte müssen nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell, also unter Berücksichtigung des jeweiligen kulturellen Kontexts, an das Zielland und die Zielgruppe angepasst werden. Ein Prozess, der gemeinhin als „Transcreation“ bezeichnet wird.
Es bleibt zu hoffen, dass interkulturelle Kommunikation im Sinne einer besseren internationalen Verständigung weiter an Beachtung gewinnt. Und was den französischen Kellner anbelangt, so darf man gespannt sein, wie das Gericht entscheiden wird.
Udo Leinhäuser ist Co-Founder der Leinhäuser Language Services GmbH und war bis Ende 2012 geschäftsführender Gesellschafter. Seit seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen und der Gründung von iSEO.works ist er Leinhäuser Language Services weiterhin eng verbunden und arbeitet seither als Spezialist für SEO und Internationale Suchmaschinenoptimierung mit lokalen und internationalen Kunden. In diesem Zusammenhang beschäftigt er sich sehr intensiv mit KI und ihrem Nutzen bzw. ihrer Wirkung auf die SEO.