Der Jahreswechsel ist bei uns Leinhäusers so eine Zeit, in der man sich über die Trends in der Branche austauscht. Dabei kommen wir immer wieder auf drei Themenbereiche, die zwar nicht komplett neu sind, die aber unserer Meinung nach weiter an Bedeutung gewinnen und unser Geschäftsumfeld im kommenden Jahr sicherlich mitbestimmen werden.
Komplexere Aufgaben
Der Trend hin zu immer komplexeren Aufgabenstellungen ist alles andere als neu, doch er nimmt nach unserer Wahrnehmung deutlich an Fahrt auf. Was sich zunächst anhört wie eine unwillkommene Entwicklung, werten wir als einen sehr gesunden Trend – um nicht zu sagen für viele Sprachdienstleister eine Notwendigkeit, ihr Dasein zu rechtfertigen. Er entsteht aus der immer tieferen Verzahnung mit Kundenprozessen, die notwendig ist, um einer gewissen Austauschbarkeit des Dienstleisters vorzubeugen. Wurden Sprachdienstleister früher nur mit einem kleinen Teil der Internationalisierungsprozesskette betraut, kommen heute immer größere und komplexere Aufgabenstellungen auf sie zu.
D.h. die Anforderungen an das einzelne Unternehmen, Kunden ganzheitlich bedienen zu können, werden weiterhin steigen. Das stellt die Branche vor ständig neue Herausforderungen. Hier nur ein paar Beispiele:
- Ausgerechnet Google, das wegen seiner maschinellen Übersetzungsplattform Google Translate von so manchem verteufelt wird, spielt schon seit einiger Zeit Sprachdienstleistern in die Karten: War es früher noch möglich das Suchergebnis von Google mit ein paar Tricks zu beeinflussen, so ranken seit den sogenannten Panda Updates (im Jahr 2011) Websites mit qualitativ hochwertigem Content besser. Dagegen werden die technischen Tricksereien (mittlerweile als Black Hat SEO bezeichnet) von Google abgestraft. Wer heute im Netz gefunden werden will, muss in erster Linie relevante Inhalte bieten – und dies in aller Regel in mehreren Sprachen. In vielen Fällen ordern die Kunden deshalb für die Internationalisierung ihrer Website eine SEO-Optimierung mit. Hier ergeben sich für Sprachdienstleister völlig neue Geschäftsmöglichkeiten, denn die klassische SEO-Agentur – also Onliner ohne linguistischen Hintergrund – ist mit der Mehrsprachigkeit überfordert. Natürlich kann die SEO-Agentur anhand einer WDF*IDF-Analyse sehen, welche Begriffe im Text gestärkt werden müssen. Doch um diese Änderungen dann auch sprachlich sauber – und markengerecht – umzusetzen, wird ein Muttersprachler benötigt. Hier findet derzeit ein Paradigmenwechsel zugunsten von Sprachdienstleistern statt.
- Unsere Kunden haben längst die Wirkung von YouTube auf das Ranking ihrer Inhalte verstanden. YouTube ist nach Google die Suchmaschine mit den meisten Suchanfragen weltweit. Deswegen werden derzeit circa 300 Stunden Videomaterial pro Minute in YouTube hochgeladen. Die Lokalisierung von Audio-/Videoinhalten ist jedoch ein überaus komplexer Prozess. Es werden eigene Tools und Skills verlangt, um multimediale Inhalte von einer Sprache in die andere zu bringen. Auch hier findet eine Umschichtung von Auftragsvolumen hin zu überaus komplexen Projekten statt.
- Das gleiche gilt für die Transcreation. Auch wenn es heute immer noch Marktteilnehmer gibt, die Transcreation lediglich für einen anderen Begriff für kreative Übersetzung halten – Transcreation ist weit aus mehr und durchaus eine sehr komplexe Aufgabenstellung!
Verbesserte Außenwirkung
Wir werden in 2017 eine immer professionellere eigene Vermarktung der Übersetzungsunternehmen sehen. In einem derart fragmentierten Markt wie unserem ist es von entscheidender Bedeutung, sich von der Menge abzuheben und seine Kompetenzen deutlich herauszustellen. Bereits jetzt ist die Qualität in puncto Design und User Experience von vielen Websites in unserer Branche deutlich höher als noch vor wenigen Jahren. Die meisten Unternehmen haben zudem den Schritt in die sozialen Medien gemacht. All dies erfordert Zeit und neue Ressourcen, bringt dann aber auch Sichtbarkeit im Netz und somit Umsatzpotenzial. Zeit und Ressourcen (ganz abgesehen vom Know-how) stehen aber längst nicht in jedem Unternehmen zur Verfügung. Insbesondere kleinere Unternehmen tun sich damit schwer. Und dies bringt uns zu dem nächsten Trend des kommenden Jahres:
Beschleunigte Marktkonsolidierung
Alleine im Dezember 2016 wurden nicht weniger als vier große Übernahmen und Fusionen bekannt geben. Anfang des Monats verkündeten die beiden in Berlin ansässigen Dienstleister think global GmbH und Milengo Ltd. ihre Fusion.
Einen Tag später vermeldete United Language Group, die bereits im April 2016 mit der Übernahme von Merrill Brink den Markt aufgerüttelt hatten, dass sie Language Select, einem Anbieter von Telefondolmetschdienstleistungen, übernommen habe.
Mitte desselben Monats kam die Meldung, dass Xplanation aus Belgien den in München ansässigen Dienstleister Matrix übernommen habe. Eine weitere Elefantenhochzeit.
Die wohl größte Aktion war jedoch die Übernahme der börsennotierten Lionbridge Technologies Inc. durch H.I.G. Capital. Diese Akquise alleine stellt ein Transaktionsvolumen von $320 Mio. dar. H.I.G. Capital ist eine Beteiligungsgesellschaft, die $21 Mrd. verwaltet.
Wir gehen davon aus, dass wir uns an solche Meldungen und vor allem an so eine Häufigkeit werden gewöhnen müssen. Die Übersetzungsbranche ist in Anbetracht ihrer Gesamtgröße wesentlich fragmentierter als die meisten anderen global agierenden Branchen. Hier besteht enormes Potential mit beachtlichen Skaleneffekten. Andere Dienstleistungssektoren (Marketing und PR) haben es bereits vor Jahrzehnten vorgemacht.
Auffällig ist in unseren Augen die gestiegene Qualität der derzeit auf der Käuferseite agierenden Unternehmen. Hier sehen wir zunehmend Unternehmen, die mit Private Equity Kapital ausgestattet sind – also professionelle Investoren, die offensichtlich die Branche als interessante Spielwiese identifiziert haben. Dies ist bei H.I.G. Capital der Fall und gleiches gilt für die Finanzierung der United Language Group. Auch hier steht mit der Northern Pacific Group eine finanziell starke Muttergesellschaft im Hintergrund. Dies ermöglicht eine ganz andere Dynamik und eine völlig neue Dimension von Transaktionen (s. Lionbridge).
Mit einem Wort: 2017 wird spannend!
Über Udo Leinhäuser
Udo Leinhäuser ist Diplom-Übersetzer und als Experte für Online-Marketing und Suchmaschinenoptimierung für Leinhäuser Language Services tätig. Er war bis Ende 2012 geschäftsführender Gesellschafter des Übersetzungsunternehmens, das seither von Mitinhaberin Heike Leinhäuser geleitet wird. Udo Leinhäuser arbeitet als freier Berater in der Übersetzungsbranche für verschiedene Kunden. Nebenberuflich ist er sowohl Autor als auch Herausgeber von Reiseführern für Privatpiloten. E-Mail-Kontakt: ul@leinhaeuser.com.