Die Anregung zu einem Komma-Workshop kam von einer Leinhäuser Kundin, die mit ihrem Team für ein großes Projekt Englisch schreiben musste. Sehr viel Englisch sogar.
Auf sehr hohem Niveau.
Ihr Team machte das eigentlich schon sehr gut – dennoch hatten die Autoren das Gefühl, nicht alles, was sie einst im Englischunterricht in puncto Grammatik gelernt hatten, noch zu wissen oder in der Praxis perfekt umsetzen zu können. Also bat uns die Kundin um einen Workshop für ihr Team, in dem – prinzipiell aber nicht ausschließlich – das spannende Thema „Kommasetzung” unter die Lupe genommen werden sollte.
Zunächst fragte sich die Referentin, die den Workshop gestalten sollte, was man denn über Kommasetzung im Englischen sagen könnte, um mehr als drei Minuten auszufüllen. Bald stellte sie aber fest, wie gewaltig sie sich geirrt hatte.
Das Material war unerschöpflich und lieferte einen nicht enden wollenden Strom von frischen Kommafällen. Zudem wuchs die Liste an möglichen Themenbereichen weiter an– von Zeichensetzung ging’s in das Gefilde der Verben, Reihenfolge von Satzteilen, Anreden und Titel, Datums- und Zahlenformate, Wörter, die man im Englischen besser weglässt, falsche Freunde, und und und – bis die Referentin ihre ursprünglich Sorge über die Ausfüllung der restlichen 177 Minuten vergessen hatte und sich stattdessen fragte, wo sie überhaupt anfangen bzw. aufhören sollte!
Der große Tag kam, das Team auch, und die Teilnehmer des Workshops nahmen alles mit einer Begeisterung auf und mit, die der Referentin zeigte, dass das Themenfeld „Kommasetzung & Co.“ durchaus große Anwendbarkeit für den Alltag des Englisch schreibenden deutschen Muttersprachlers hat. Diese Erfahrung war für mich – die Referentin – ein echter „eye-opener”.
Ich hatte jahrelang Korrekturen von englischen Texten von Nichtmuttersprachlern durchgeführt, mir aber noch nie die Frage gestellt: Wo lauern in meiner Muttersprache die größten Probleme für einen Englisch schreibenden Deutschen – und kann man sie zeitsparend und sinnvoll angehen?
Man kann. Aber falls Sie sich noch nicht so richtig vorstellen können, worum es geht: Hier sind ein paar Beispiele für Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Englischen, die meiner Erfahrung nach deutsche Muttersprachler öfters plagen (ob sie’s wissen oder nicht).
1. Können Sie den Fehler im folgenden Satz finden?
This entrance is for pedestrians only, vehicles must use the north entrance.
Die Antwort ist vielleicht anders, als Sie vermuten. Der Satz stellt einen „run-on sentence” dar, sprich: Zwei Hauptsätze, die (irrtümlicherweise) durch ein Komma verbunden sind. Im Deutschen ist das erlaubt. Aber nicht im Englischen – auch wenn viele Muttersprachler es tun. Entweder macht man zwei Sätze daraus (This entrance is for pedestrians only. Vehicles must use the north entrance), oder man nimmt andere Interpunktion, wie z. B. ein Semikolon (This entrance is for pedestrians only; vehicles must use the north entrance).
2. Welche der folgenden Aussagen ist korrekt in Bezug auf den Gebrauch des Bindestrichs?
Information on sales transactions is always kept up to date for our staff.
Up-to-date information on sales transactions is vital for our staff.
Antwort: beides. Der Auslöser hier ist die Position des Adjektivs (up to date) in Bezug auf das Substantiv (information): Wenn das Adjektiv direkt vor „seinem” Substantiv steht (wie im 2. Beispiel) UND selbst aus mehreren Wörtern besteht, dann braucht es Bindestriche. Wenn das Adjektiv dagegen vom Substantiv getrennt steht, wie im 1. Beispiel, bekommt es keine Bindestriche.
Zu dieser Regel gibt es ein paar Ausnahmen:
Ausnahme 1: Kein Bindestrich bei Adverbien, die in „ly“ enden: newly developed, recently discovered, usw.
Ausnahme 2: Keine Bindestriche, nur weil ein Substantiv aus mehreren Wörtern besteht, z. B. sind independent data monitoring system und target sales accounting tool ohne Bindestriche korrekt.
3. Was ist für den Leser eines englischen Dokuments am folgenden Datum problematisch?
3-11-2016
Antwort: Dass er auf Anhieb nicht weiß, ob hier der 3. November oder der 11. März steht. Das kommt dadurch, dass amerikanisches Englisch Daten in der Reihenfolge Monat-Tag-Jahr schreibt, und britisches Englisch in der Reihenfolge Tag-Monat-Jahr – genau wie die meisten europäischen Sprachen. Wenn dem Leser die Sprachvariante eines englischen Dokuments nicht bekannt ist, kann er solche Datumsangaben nicht immer richtig deuten.
Was tun? Den Monat immer als Wort schreiben, ob ganz (z. B. November) oder abgekürzt (z. B. Nov.). Dann herrscht Klarheit, egal ob britisches oder amerikanisches Englisch, und der arme Leser muss nicht raten.
4. In den folgenden Sätzen gibt es jeweils ein Wort, das im englischen Satz unnötig ist. Können Sie diese Wörter finden?
a. The agreed conditions of the contract stipulate payment after three months.
b. Enter the respective figure in the table on page 3.
c. The annual accounts were prepared by a competent auditor.
Gutes Englisch setzt auf den gesunden Menschenverstand des Lesers. Im ersten Satz ist das Wort „agreed” demnach überflüssig: In einem Vertrag steht nur das, was die Vertragsparteien ohnehin vereinbart haben, das muss man nicht extra sagen. Im zweiten Satz ist es „respective”: Solange der Kontext klar macht, welche Zahl gemeint ist, braucht man diesen zusätzlichen Hinweis nicht. Und im dritten Satz ist es „competent”: Wenn das Gegenteil unvorstellbar ist – und wer lässt sich seine Bilanz von einem inkompetenten Auditor erstellen? – dann hat das Wort selbst keinen Aussagewert und fällt weg.
Wenn Sie also eine englische Übersetzung erhalten, aus der diese unnötigen Wörter bereits herausgeflogen sind, dann hat der Übersetzer durchaus korrekt gehandelt.
Das sind nur vier von vielen Beispielen, die ich mittlerweile gesammelt habe. Deutsch und Englisch sind beide germanische Sprachen und haben in der Folge viel gemeinsam – aber eben nicht alles. Als Sprache legt Deutsch großen Wert auf Präzision und das gut erhaltene Kasus- und Geschlechtssystem ermöglicht es, im Deutschen ellenlange und dennoch sehr präzise Sätze zu erstellen, die das Englische mit seinem geschrumpften Schatz an Pronomen und Artikeln schlicht überfordern würden. In einem guten englischen Satz herrscht dafür in der Reihenfolge der Satzelemente eine Art organischer Klarheit, die nur die beabsichtigte Interpretation zulässt, ob der Satz kurz oder lang ist.
Nun sagen einige Nichtmuttersprachler, die viel Englisch schreiben: „Ach, bislang bin ich ganz gut zurechtgekommen, keiner hat sich über mein Englisch beschwert. Die Hauptsache ist, dass ich richtig verstanden werde.” Und da ist was Wahres dran.
Nur: Bei der Kommunikation mit Geschäftspartnern legen Sie bestimmt Wert darauf, einen kenntnisreichen Eindruck zu hinterlassen, weil das Kompetenz signalisiert. Und Sie tun das u. a. darin, dass Sie korrektes Deutsch schreiben. Im Englischen ist es nicht anders, auch wenn es nicht die Muttersprache ist. Also trauen Sie sich, Ihr Wissen über Kommastellung im Englischen unter die Lupe zu nehmen. You have nothing to lose but a comma in the wrong place!